Eine Bildungsreform ohne Gewerkschaft? Unbedingt!

Lehrer vor Tafel
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Es war gestern ein heiß diskutiertes Thema. In einem Standard-Artikel hat IHS-Bildungsforscher Lorenz Lassnigg über die Reformbremse Lehrer/-innen-Gewerkschaft gesprochen. Er meinte, dass eine wirksame Schulreform zwar mit Lehrer/-innen aber ohne Gewerkschaft auf den Weg gebracht werden müsse. Natürlich haben die Antworten der Gewerkschaft nicht lange auf sich warten lassen. Im Positionspapier von Lorenz Lassnigg heißt es: „Nicht gegensätzliche Positionen sind das Problem - sondern dass diese nicht in einem vernünftigen inhaltlichen Diskurs behandelt werden.“ (http://derstandard.at/2000044675235/Experte-will-Schulreform-mit-Lehrern-ohne-Gewerkschaft). Auf die Gefahr hin, dass ich mich vielleicht unbeliebt mache, aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist dieser Standpunkt nachvollziehbar.

Die Kernaufgabe der Gewerkschaft!

Die zentrale Aufgabe gewerkschaftlicher Arbeit ist das Aushandeln der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung. Allerdings zählt eine Richtungsbestimmung des jeweiligen Unternehmens nicht zu ihren Aufgaben. Die Gewerkschaft eines Autobauers entscheidet ja auch nicht, welches Modell gebaut wird, sondern „nur“ die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Sonst würde der VW-Konzern nicht im Management über die Zukunft des Passats entscheiden, sondern die Gewerkschaft. Das wäre absurd. Ähnlich verhält es sich auch bei den Lehrer/-innen. Strategieentscheidungen werden im Ministerium getroffen, Arbeitsbedingungen mit der Gewerkschaft ausgehandelt.

Natürlich wird jetzt das Argument kommen, die Lehrer/-innen wüssten am besten, wo der Hebel anzusetzen ist, nachdem sie täglich bei den Schüler/-innen sind. Mit der selben Logik könnte auch die Gewerkschaft in unserem Gegenbeispiel argumentieren. Sie müsse mitentscheiden, nachdem sie täglich Autos baut und wisse, wie der Hase läuft. Auch wenn wir uns auf das Kerngeschäft der Gewerkschaft reduzieren, könnte ein Befund durchaus provokant ausfallen: Im OECD-Vergleich haben die österreichischen Lehrer/-innen mit die längste Arbeits- aber die kürzeste Unterrichtszeit. Ist hier bei den Verhandlungen in Reihen der Gewerkschaft etwas schief gelaufen?

Der strategische Blick für’s Ganze!

Gewerkschaftliche Interessen sind Partikularinteressen (Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Entlohnung) und stehen daher in einem Widerspruch zum strategischen Gesamtbild. Im Bildungsbereich sind das internationale Trends wie z.B. innovative Unterrichtsmodelle, moderne Unterrichtsmittel, pädagogische Innovationen und der Fokus auf Selbstbestimmung der Schüler/-innen. Hat die Gewerkschaft internationale Trends ebenso im Blick, wie die Politik? Eher nicht. Denn die skandinavischen Länder überholen uns seit Jahren, während wir auf dem Pannenstreifen darüber streiten, wer den Schaden behebt.

Die strategische Richtung gibt die Unternehmensführung - in diesem Fall das Bildungsministerium - vor. Innerhalb dieser strategischen Eckpfeiler muss die Gewerkschaft die Arbeitsbedingungen aushandeln. Das ist eine Errungenschaft unserer Demokratie und immens wichtig. Die Gewerkschaften sollen bitte keineswegs schwach gehalten oder dezimiert werden. Sie müssen effektiv die Arbeitnehmer/-innen-Interessen vertreten können. Sie aber strategisch einzubinden, übersteigt ihre Befugnis. Auch in unserem „Autobeispiel“ obliegt die strategische Grundausrichtung nicht der Gewerkschaft.

Out of the Box!

Offene Box
Quelle: https://pixabay.com/de/karton-box-container-offen-161578/, 22.09.2016

Es muss sachlich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer/-innen und der Schüler/-innen getrennt werden. Nur so kann systemisch out-of-the-box gedacht werden. An dieser Stelle komme ich gerne mit meinem Beispiel des eingefrorenen Chirurgen: Friert man ihn im Jahr 1950 in seinem OP ein und taut in heute in einem OP auf, er wüsste nicht, wo er ist. Selbes kann für Lehrer/-innen nicht behauptet werden. Der Lehrer/-innen-Beruf muss sich ändern, weil sich die Welt geändert hat, auf die wir unsere Kinder vorbeireiten müssen. Methoden und Logiken aus der Zeit Maria-Theresias führen nicht zum Ziel.

Fazit: Gleichberechtigte Kooperation?!

Wieso werden bei Diskussionen zu einer Bildungsreform nicht alle Stakeholder einbezogen? Wenn, dann sollten Eltern, Schüler/-innen, Lehrer/-innen, Direktor/-innen und die Politik eingebunden werden. Die Lehrer/-innen-Gewerkschaft möge mir jetzt bitte nicht damit kommen, sie hätten nur die Interessen der Schüler/-innen im Kopf. Wieso haben wir dann vielerorts pädagogische Entwicklungen verschlafen? Das Hemd ist eben auch der Gewerkschaft näher als der Rock. Nichtsdestotrotz bedarf es bei ernst gemeinten Reformen die aktive Mithilfe der Lehrer/-innen. Aber vielleicht nicht jene der Gewerkschaft, die primär die Interessen der Lehrer/-innen als Arbeitnehmer/-innen vertritt. Deshalb ist die Argumentation des Bildungsforschers am IHS kein Zitat: „Blödsinn“ oder „Schwachsinn“ … (http://derstandard.at/2000044734005/Lehrergewerkschaft-wehrt-sich)