Objektivität in der Bildungsdiskussion?

Interview
Quelle: https://pixabay.com/de/interview-gespräch-sitzen-2071228/ 07.03.2017

„Objektivität ist die Illusion, Beobachtungen ohne Beobachter machen zu können.“ (Heinz von Foerster) In der Bildungsdiskussion nehmen wir sehr schnell normative Gliederungen von Gut und Schlecht vor, ohne das System, in dem wir leben unter die Lupe zu nehmen. Wir stopfen unsere Kinder mit Lehrstoff voll und nennen das ein hohes Bildungsniveau. Wir kasernieren SchülerInnen in Schulen ein und zwingen ihnen eine beinahe militärische Organisation auf. Zu guter Letzt vermitteln wir ihnen fächerbezogen Stoff, statt sie an die Realität des Themenbezugs heranzuführen. Ist das, objektiv gesehen, gut?

Keine normative Aussage?

Jede Pädagogin und jeder Pädagoge lebt und arbeitet in einem spannenden, aber gleichzeitig ermüdenden Spannungsfeld. Wir sind uns im Klaren darüber, dass die Wissensvermittlung im Grunde ein völlig individuell ablaufender Prozess ist, der bei jede/r SchülerIn anders vollzogen wird. Dennoch müssen möglichst viele SchülerInnen gleichermaßen gebildet werden. Deswegen behelfen wir uns mit der Struktur „Schulklasse“, die eine Gruppe gleichaltriger Kinder zusammenfasst und lehrt. Normative Aussagen für den Wissens- und Kompetenzerwerb mehrerer Individuen zu finden, ist allerdings schwierig.

Welche Realität?

Das klingt beinahe philosophisch. Doch an welche Realität führen wir unsere Kinder in der Schule heran? Wie oft haben wir noch in unserer Schulzeit den Satz gehört „Nicht für die Schule lernt ihr, sondern für’s Leben!“? Nach dem Verlassen der Schule, der geschützten Werkstätte, die wir neun bis 13 Jahre besucht haben, kommen wir dahinter, dass sich die Realität, das Leben, fundamental davon unterscheidet, was wir in der Schule vermittelt bekamen. Natürlich bin ich, wie so viele KollegInnen, der Auffassung, dass Kinder einen geschützten Bereich benötigen, in dem sie Fehler machen können, dürfen und sollen. Im richtigen Leben würden Fehler sofort bestraft werden und die Realität würde die Kinder schneller einholen, als pädagogisch notwendig und sinnvoll wäre.

Vielleicht sollten wir uns vor allem in den niedrigeren Schulstufen von der Illusion verabschieden, uns auf die Realität vorzubereiten. Denn es besteht ein großer Unterschied zwischen der Realität und der vorbereitenden Kompetenzen auf diese. Die Kompetenzen sollten jahrelang vermittelt werden. Die Realität muss noch nicht in den Schulalltag integriert werden. Denn mit zehn Jahren sieht die Realität der Welt außerhalb der Schule signifikant anders aus, als mit 17. Und mit sechs Jahren sind 60 Prozent der Jobs, denen mit 18 nachgegangen wird, noch nicht einmal erfunden.

Fächer vs. Themen

Fächer
Quelle: https://pixabay.com/de/lagerung-sortieren-container-muster-1209606/ 07.03.2017

Diesen Widerspruch aufzulösen, ist zwar ein nettes Gedankenexperiment, steht aber in der Praxis vor großen Herausforderungen. Natürlich wäre der themenbezogene Unterricht ideal und realitätsnah. In der Arbeitswelt arbeiten wir oft in interdisziplinären Teams und wenn wir privat zu einem Thema recherchieren, ziehen wir auch verschiedene Quellen und Blickwinkel heran. Persönlich ist die Fotographie ein großes Hobby von mir und wenn ich mich da verbessern möchte, muss ich physikalische Konzepte ebenso verstehen, wie digitale oder chemische. Ich bewege mich also interdisziplinär.

In der Schule wäre eine interdisziplinäre Projektarbeit - gerade in den sogenannten Nebenfächern - pädagogisch interessant. Doch die Zusammenarbeit der jeweiligen FachlehrerInnen muss praktikabel sein. Die Stunden könnten zusammengelegt werden. Das geht aber nur, wenn das Assessment klar und die Aufgabenteilung operativ gegeben ist. In der Praxis wird so etwas kaum möglich sein, wenn wir noch in altbewährten Strukturen denken.

Fazit: Welche Funktion erfüllt die Schule?

Die Frage klingt trivial, ist sie aber nicht. Denn viel zu oft werden die Begriffe Bildung und Ausbildung miteinander vermengt und verwechselt. Die Schule im klassischen Sinn hat nicht die Aufgabe - zumindest bei den jüngeren SchülerInnen - diese auszubilden. Sie hat die Aufgabe, sie zu bilden. Ihnen bei der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu helfen. Fast militärisch strukturierte Abläufe werden dabei vermutlich nicht helfen. In der Bildungsdiskussion wird oft über Reformen und ihr Scheitern gesprochen. Selten wird eigentlich darüber gesprochen, was Schule im 21. Jahrhundert leisten soll.

Klassenraum
Quelle: https://pixabay.com/de/klassenzimmer-schule-bildung-lernen-2093743/ 07.03.2017

Pädagogisch, nicht technisch. Technisch haben wir uns endlich darauf geeinigt, die Digitalisierung in den Unterricht zu integrieren. Doch pädagogisch? Wir unterrichten unsere Kinder noch immer, allerdings etwas adaptiert, nach einem Schema, das unter Maria-Theresia entworfen wurde. Der Reiz des Future Classrooms (Anm. d. Red. Klassenzimmer der Zukunft) ist, die pädagogische Interaktion neu zu denken. Und es wäre an der Zeit, über genau diese Interaktion nachzudenken …