Ich habe mich von Facebook gelöscht! Was für eine Erleichterung und Steigerung meiner Lebensqualität. Ja, mein Account ist nicht ruhend gestellt, er ist weg. Geht er mir ab? Keineswegs! Ich fühle eine ordentliche Erleichterung. Aber das war nicht der Stein des Anstosses bei mir. Vor einiger Zeit - es war um Ende November 2019 herum - habe ich das sehr empfehlenswerte Buch der Harvard-Professorin Shoshanna Zuboff mit dem Titel „Die Zeit des Überwachungskapitalismus“ auf eine Empfehlung eines Artikels in der Wochenzeitung „Falter“ hinauf gelesen. Was ich dort las, ließ mich aus allen Wolken fallen und versetzte meine Kinnlade ins 17. Kellergeschoss. Und als ob das nicht genug wäre, habe ich eigene, sehr befremdliche Erfahrungen in diesem Bereich gemacht.
Worum geht es?
Shoshanna Zuboff schreibt in ihrem Werk über das Geschäftsmodell von Google und Facebook (interessanterweise wird Apple in diesem Zusammenhang fast löblich erwähnt). Das Ausnützen des Verhaltensüberschusses. Diese Netzwerke können aufgrund der gesammelten Daten über eine Person genau vorhersagen, wie sich diese verhält und sogar fühlt, um im nächsten Schritt eine Werbung zu einem Produkt zu platzieren, das diesen Zustand verbessern soll. An dieser Stelle mag darüber philosophiert werden, ob uns der materielle Ausgleich vermag, glücklich zu machen. Diese beiden Unternehmen nutzen dabei mehrere Plattformen, um sich die Nachschubrouten ihres Geschäftsmodells zu sichern. Bei Facebook ist es Instagram und WhatsApp, bei Google vor allem das weit verbreitete Smartphone-Betriebssystem Android, aber auch Glass war ein - zugegeben plumper - Versuch in diese Richtung.
Aus Androids Nutzungsbestimmungen geht hervor, dass wir damit einverstanden sind, dass über das Mikrophon unseres Smartphones, bestimmte Schlagworte herausgefiltert werden dürfen. Das führt dazu, dass wir Werbungen zu entsprechenden Produkten erhalten über welche wir ein paar Stunden davor im Kaffeehaus mit Freundinnen und Freunden gesprochen haben. Es geht also bei Weitem nicht mehr um die Sammlung von Daten, es geht auch um deren kommerzielle Verwertung und - das ist wirklich erschreckend im Falle Facebooks - um die Schaffung von Emotionen bei den NutzerInnen, zumal nur jene Beiträge gezeigt werden, die uns in eine bestimmte emotionale Lage versetzen. Sie wissen also nicht nur, wie wir uns fühlen, sie können auch im schlimmsten Fall bestimmen, wie wir uns fühlen werden. Das ist beängstigend!
Befremdliche Erfahrung
Als ich das gelesen habe, reifte der Gedanke heran, mich endlich zu löschen. Ich spielte schon länger mit diesem Gedanken, aber dieses Buch war der Tropfen, der das persönliche Fass zum
Überlaufen gebracht hatte. Nach einer kurzen Unterredung mit meiner Frau, empfahl diese mir, noch einmal darüber zu schlafen. In der Zwischenzeit habe ich das „Masterfile“ von Facebook
angefordert und heruntergeladen. Hier finden sich alle Informationen, die dieses Unternehmen über mich hat, die ich bereit war, zu teilen - nicht, was sie damit machen, aber zumindest was sie
wissen. Zumindest glaubte ich das.
Einige Wochen zuvor, war ich zum Geburtstag meiner Frau mit ihr in einem Frühstückslokal im siebten Wiener Gemeindebezirk. Als ich mir das File von Facebook angesehen hatte, staunte ich nicht schlecht als 1:1 mein Telefonbuch abgebildet war (inklusive der Telefonnummern der Gynäkologin meiner Frau) und von diesem Frühstückslokal. Und damit nicht genug, meine letzte Anrufliste war auch zu finden. Seitdem ich mir 2018 ein neues Smartphone zugelegt hatte, war die Facebook-App nicht mehr auf dem Handy und meine Verwendung von Facebook war seit diesem Zeitpunkt auch mehr als homöopathisch - einmal pro Woche wenn es hoch kam.
Das sei allen mitgeteilt, die entgegenhalten, sie würden Facebook ohnehin kaum verwenden. Offenbar geht es nicht darum, es zu verwenden, die Daten werden unabhängig von der Verwendung gesammelt. Letztlich dachte ich mir Folgendes: Auch wenn ich für diese Art der Manipulation nicht empfänglich bin, stößt es mir sauer auf, dass Mark Zuckerberg mehr Geld von Unternehmen zum Zwecke der zielgerichteten Werbung verlangen kann, weil er behauptet, die Daten von X-Millionen NutzerInnen zu haben. Ich wollte nicht einer von ihnen sein.
Das emotional gefährliche Spiel oder: Warum wir SchülerInnen davor schützen müssen
Das soziale Verhalten unter Menschen ist vor allem durch den Vergleich mit den Anderen einer Gruppe gekennzeichnet. Diese Orientierung an unseren Mitmenschen ist normal und zeichnet das soziale
Wesen „Mensch“ aus. Es handelt sich um einen Realitätscheck unserer eigenen Positionierung. Problematisch wird das Ganze, wenn unsere Referenzpunkte nicht mehr die Wirklichkeit abbilden und wir
uns an einem illusorischen Ist-Zustand orientieren.
Facebook, Instagram und Co. bilden nicht die Lebensrealität unserer Mitmenschen ab, sondern jenes Bild, das diese vermitteln wollen. Beispielsweise wird erst jenes Foto gepostet, das wir nach 20 Versuchen als „gut genug“ erachten, um zu posten (das gilt mehr für Instagram, das genauso Facebook gehört und hier in einen Topf geworfen wird). Erstens erzeugt dieses Verhalten Druck, uns von einer ähnlich guten Seite zu zeigen und zweitens nehmen wir dieses idealisierte Bild unserer Mitmenschen als faktische Realität an. Dabei plagen unsere Mitmenschen - und das ist das Beruhigende - ähnliche Sorgen, Ängste und Zweifel wie uns. Doch damit nicht genug, denn jetzt wird das Problem auch ein biochemisches.
Die SchülerInnen empfinden realen, messbaren Stress, wenn sie nicht von ihren Mitmenschen sozial (in diesem Falle im sozialen Netzwerk) wahrgenommen werden. Umgekehrt lösen „Likes“ messbare Freude aus. Verantwortlich dafür ist der Botenstoff/Neurotransmitter Dopamin. Dieser wird ausgeschüttet, bevor positive Gefühle entstehen und durch das Interagieren auf sozialen Netzwerken wird die gleiche Menge an Dopamin ausgeschüttet wie beispielsweise beim Glücksspiel oder beim Alkoholkonsum. Chemisch entspricht ein unkontrollierter Umgang mit den sozialen Netzwerken der Aufforderung, unsere Jugendliche sollen sich an der Alkoholbar bedienen.
Vereinbart reale Treffen
Keineswegs plädiere ich dafür, soziale Netzwerke zu verbieten oder zu verbannen. Aber man muss ihren Umgang reglementieren und unsere Jüngsten heranführen. Denn wir leben in einer vernetzten Welt und Menschen sind nun einmal virtuell verbunden. So viele Vorteile das bringt, es birgt auch etliche Gefahren. Ein erster Schritt wäre, wieder die „reale“ Komponente unseres Lebens zu forcieren. Dazu gehört es, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, unsere Freunde zu treffen, oder ein Netzwerk in einer anderen, realen Gruppe wie dem Sport- oder Kulturverein zu suchen. Danach sind wir nicht mehr derart anfällig für die Verstärkung von Botschaften in der Blase des sozialen Netzwerks. Denn dort hören, lesen und sehen wir nur jene Botschaften, die wir hören wollen und die uns in einen (manipulierten) emotionalen Zustand bringen.