Mittlerweile kommen die Worte „entsetzen“ und „Politik“ oft in einem Satz vor - nicht nur in meinem Sprachgebrauch. Schalte ich den Kultursender ORF III ein, um eine Sitzung des Nationalrats zu verfolgen, weiß ich nicht, ob ich das Geschehen im theoretisch höchsten politischen Haus Österreichs verfolge, oder ob eine DVD mit dem Best Of schlechter Kabarett-Darbietungen eingelegt ist. Ich kann nicht glauben, dass uns der Nationalrat widerspiegelt. Ist das noch mein Österreich?
Der Ton der Missachtung
Als Vater frage ich mich, wie ich meiner Tochter erklären soll, dass wir miteinander einen wertschätzenden Umgangston pflegen, aber sich 183 Erwachsene in einem Plenarsaal verbal die Köpfe einschlagen. Der Bildungsblogger in mir stellt sich die Frage, welches Bild wir der nächsten Generation vermitteln. Dass im Nationalrat keine sachlichen Diskussionen geführt werden, ist nicht neu. Doch dass wesentliche Grundsätze der guten Kinderstube nicht an den Tag gelegt werden, erinnert mich an Schwarz-Blau I.
Wer sich an die damaligen Nationalratssitzungen erinnern kann, wird in der Argumentation, der Polemik und der Respektlosigkeit einige Parallelen zu heute finden. Der derzeitige Bundeskanzler wurde in dieser Zeit maßgeblich politisch geprägt und hat sichtlich einige Argumentationsstränge übernommen. Meiner Auffassung nach ist der vielzitierte neue Stil eine Mähr, die der einstigen Taktik Wolfgang Schüssels entsprungen ist. Im Alltag äußert sich das darin, dass der Bundeskanzler medial auf ein Podest gehoben wird und andere Personen in der Partei in die Konfrontationen gehen.
Nachdem die Opposition dieses Muster durchschauen dürfte, treten ihre VertreterInnen umso aggressiver auf. Die Folge: Zwischenrufe, Beschimpfungen, Ordnungsrufe, polemische Diskussionen und ein widerliches Schauspiel rhetorischer Selbstinszenierungen. Wenn ich meine Augen schließe, vermute ich nicht, im Parlament zu sein, sondern die Diskussion eines Stammtisches zu verfolgen. Das tatsächliche Hohe Haus wird gerade renoviert. Dem Umgangston würde das ebenfalls nicht schaden.
Und man wundert sich?
Ich habe Politikwissenschaft studiert und verfolge darüber hinaus mit großem Interesse Sitzungen des Nationalrats - eigentlich. Denn immer öfter genügt es auch mir. Menschen, die sich als politisch interessiert beschreiben, schalten bei den Debatten ab. Kein Wunder, dass das politische Gedächtnis der ÖsterreicherInnen eher kurzfristig angelegt ist und danach populistische Botschaften im Vorfeld einer Wahl besonders wirksam sind.
Was war zuerst? Die Henne oder das Ei? Der/die PolitikerIn, welcher/welche die WählerInnen abschreckt, damit diese sich nicht mehr mit der Materie befassen? Oder der/die WählerIn, dem/der eine inhaltliche Auseinandersetzung egal ist und damit eine politische Kultur der Ignoranz prägt? Jedenfalls läuft im Parlament ein Hund umher, der sich in den eigenen Schwanz des Desinteresses beißt …