Unwort Gutmensch!

Obdachloser
Quelle: https://pixabay.com/de/obdachlose-straße-kunst-realität-2223116/ 18.04.2017

Es teilt sich diesen zweifelhaften Ruhm mit „Volksverräter“, „Lügenpresse“, „Ich-AG“ oder „Nulldefizit“. Das Wort Gutmensch ist zum deutschen Unwort des Jahres 2015 gewählt worden und hat nichts an Aktualität verloren. In einer Diskussion habe ich es vor kurzer Zeit wieder gehört und nehme dies zum Anlass, dieses Wort in einem Bildungsblog zu thematisieren. Denn aus mehreren Gründen ist es ein Unding unserer Kultur und nimmt eine Klassifizierung von uns BürgerInnen vor, die eigentlich niemandem zusteht. Warum dies dennoch geschieht, möchte ich im folgenden Beitrag ebenso wie die Gründe meiner Ablehnung darlegen.

Unzulässige Klassifizierung

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ (Artikel 1, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte)

Wird der Begriff Gutmensch für oder gegen uns verwendet, muss irgendeine Instanz diese Klassifizierung vornehmen, denn wir alle sind mit der gleichen Würde geboren, oder? Nun stellt sich die Frage, wer jemanden als einen Gutmenschen bezeichnen oder wer überhaupt diese Definition vornehmen darf. Und genau hier fängt das Ganze zu bröckeln an. Denn wem stünde das zu? Meine spontane Antwort: Eigentlich niemandem, denn abhängig davon, wo man sich im politischen Spektrum zuordnen möchte, fiele diese Definition anders aus.

Die Welt ist nicht schwarz und weiß

Schachbrett schwarz-weiß
Quelle: https://pixabay.com/de/schach-schachbrett-schwarz-spiel-140340/ 18.04.2017

Doch angenommen, es gäbe eine Instanz, die einem Menschen diese Bezeichnung umhängen darf, das Problem läge außerdem in der binären Betrachtung. Somit würde zwischen „gut“ und „schlecht“, „schwarz“ und „weiß“ und „null“ und „eins“ unterschieden werden. Graustufen gäbe es nicht mehr und Farben sowieso. Denn obwohl das Leben weit komplizierter als die binäre Bewertung von Ereignissen ist, diese Betrachtung ist einfach, leicht zu verstehen und massentauglich. Wie oft haben wir Donald Trump über die „good and bad guys“ sprechen hören?

Wie oft bedienen sich die Menschen groben Verallgemeinerungen? Diese und jene sind faul, diese und jene Sozialschmarotzer, diese und jene kriminell! Die Liste ist beliebig erweiterbar. All diesen Aussagen liegt eine binäre Bewertung zugrunde, die von beinahe allen verstanden wird. Das Problem ist, dass diese Aussagen nicht differenziert und somit höchstens Stammtisch-tauglich sind. Darüber hinaus sind sie für die verbal angegriffenen Gruppen im höchsten Maße verletzend.

Binär und Populismus: Das passt zusammen!

Im Sprachgebrauch von PopulistInnen werden stets einfache Sprachmuster verwendet, um Botschaften effektiv zu transportieren. Wenn ein Sündenbock gebraucht wird, ist es effektiver von guten und schlechten Menschen zu sprechen. PopulistInnen bemühen sich bewusst um keine Differenzierung. Im Gegenteil: Differenzierte Argumentationen sind sogar kontraproduktiv, weil sich provozierende Botschaften lange nicht so effektiv verbreiten können.

binäre Codierung
Quelle: https://pixabay.com/de/kugel-http-www-absturz-63527/ 18.04.2017

Als Gesellschaft sollten wir aber um eine differenzierte Betrachtung der Dinge bemüht sein. Denn unreflektiert binäre Argumentationsmuster zu verwenden, vergiftet die zwischenmenschliche Kommunikation und provoziert. Derartige Argumentationsstränge werden besonders gerne von den politisch Rechten verwendet. Denn sie benötigen ein einfaches Weltbild und eindeutige Sündenböcke in ihrer Kommunikation, um etwaige AnhängerInnen zu gewinnen. Und genau darum geht es: Ein einfaches Weltbild, das von allen verstanden wird.

Fazit: Ich bin lieber ein Gutmensch!

In Krisenzeiten bin ich lieber ein sogenannter reflektierter Gutmensch. Denn Gutmenschen waren es, die den Ernst der Lage in Syrien vor den politischen VertreterInnen erkannt haben. Gutmenschen haben bereits nach dem Giftgas-Anschlag in der Nähe von Damaskus 2013 aufgeschrien. Sogenannte Gutmenschen haben die menschliche Hilfe gewählt als politische Lösungen nicht einmal auf dem Horizont erschienen sind. Und Gutmenschen haben vor Zuständen gewarnt, in denen Kinder zu leiden hätten. Eine differenzierte Betrachtung wäre also das Gebot der Stunde. Bestenfalls hat das Wort Gutmensch die Qualität eines Schimpfwortes. Denn zu mehr taugt es nicht und jene Menschen, die es verwenden entlarven ihre reduzierte Sicht der Welt …