Pflichtmitgliedschaft oder nicht?

Zwei Hände mit Puzzleteilen
Quelle: https://static.pexels.com/photos/164531/pexels-photo-164531.jpeg 25.10.2017

Offenbar dreht sich alles nur noch um die Frage der Pflichtmitgliedschaft. Während des Wahlkampfes wurden die Beiträge an die Kammern und Dachverbände immer wieder thematisiert. Dieses Modell hätte sich überholt und koordiniert keinen modernen Interessensausgleich mehr. Doch das Unikum der Sozialpartnerschaft ist ein österreichisches Modell, das ein Ausdruck unserer Verhandlungsdemokratie ist. Und die Rolle von vor 30 Jahren hat sie ohnehin nicht mehr. 

Muster des Interessensausgleichs

Traditionell besteht in Österreich ein etabliertes Muster der Interessensvermittlung und des Interessensausgleichs, das über die beteiligten Kammern der ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenvertretung im Austausch mit der Regierung zum Ausdruck kommt. Diese Maschinerie funktionierte deshalb so reibungslos, weil diese Interessen in den dominierenden politischen Parteien SPÖ und ÖVP vertreten waren.

Es war daher gängige Praxis, die großen Dachverbände in die politische Willensbildung miteinzubeziehen. Sie gestalteten wesentliche Politikfelder mit, erzielten gesellschaftliche Kompromisse und federten auf diese Weise schwelgende Konflikte im Vorfeld der Implementierung neuer Maßnahmen ab. Doch dieses Muster des Interessensausgleichs unterliegt seit einigen Jahren steten Veränderungen. (Tálos 2010, in: Pfefferle/Schmidt/Valchars (Hg.): Europa als Prozess, Wien 2010)

Zwei parallele Entwicklungen

Schiene
Quelle: https://static.pexels.com/photos/74767/studjo-yavor-miastko-74767.jpeg 25.10.2017

Dass die Sozialpartnerschaft alter Prägung zunehmend an Bedeutung verliert, hat zwei Gründe. Auf nationaler Ebene haben die SPÖ und ÖVP nicht mehr jenen Zuspruch, den sie noch in den 1970er und 1980er Jahren hatten. Die Interessensverbände haben daher nicht mehr klar definierte GesprächspartnerInnen. Gerade unter der Regierungsbeteiligung der FPÖ zu Beginn der 2000er wurde dieser Umstand deutlich. In der kommenden Bundesregierung dürfte sich das ähnlich verhalten.

Hinzu kommt, dass durch die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union Entscheidungskompetenzen an eine transnationale Struktur abgegeben wurden und die Sozialpartner hier ihren Einfluss verloren haben. Auf europäischer Ebene beschränkt sich ihre Funktion auf Lobbying. Von einer systemischen Beteiligung am Willens- und Entscheidungsprozess ist man weit entfernt.

Wichtige Funktion

Aktuell wird darüber diskutiert, ob die Pflichtmitgliedschaft bei den jeweiligen Kammern aufgehoben wird und man vergisst dabei, dass hier Interessen akkordiert und geschützt werden. Meine letzten Recherchen legen nahe, dass fast die Hälfte der AngestelltInnen keinen Betriebsrat haben. Wenn sie also eine Rechtsverletzung gegen sich wahrnehmen, müssen sie alleine gegen das jeweilige Unternehmen vor Gericht ziehen oder schlucken, was ihnen widerfährt. Die Arbeiterkammer übernimmt in derartigen Fällen die Rechtsvertretung und stellt somit einen Mindestschutz sicher.

Zwei Menschen bei einem Rechtsgespräch
Quelle: https://pixabay.com/de/vertrag-unterzeichnung-treffen-2779509/ 25.10.2017

Das Schöne an sozialpartnerschaftlichen Strukturen ist, dass es bereits im Vorfeld von Entscheidungen zu einem Ausgleich der Interessen und sozialen Schieflagen kommen kann. Dennoch besteht erheblicher Reformbedarf, zumal viele neue Berufs- und Beschäftigungsformen nicht repräsentiert werden, was zu einer Verzerrung des Gerechtigkeitsbegriffs führt. Wenn weiterhin die Errungenschaften der Verhandlungsdemokratie gepflegt werden sollen, wäre der logische Schritt eigentlich eine Reform und Vertiefung dieser Strukturen und nicht deren Beseitigung …