In diesem Blog habe ich mich pädagogischen Fehlentwicklungen verschrieben. Oft werden in meinen Artikeln Konzepte vorgestellt, die vielleicht für die eine oder andere Lehrkraft brauchbar erscheinen. Eine Veranstaltung, wie ich sie diese Woche besuchte, lässt mich zwar kurzzeitig träumen, aber die täglichen Herausforderungen der Lehrkräfte dürfen keinesfalls vergessen werden.
Es fängt beim Betreuungsverhältnis an
Jede Lehrkraft wünscht sich kleinere Klassen, um noch besser auf die SchülerInnen eingehen zu können. Alle Eltern wünschen sich weniger SchülerInnen pro Klasse, damit den Lehrkräften der Rücken freigehalten wird. Aber politisch traut sich von den AkteurInnen niemand, ein klares Ziel zu definieren. Als wir uns für einen Kindergarten für meine Tochter umgesehen haben, überzeugte uns von einem Anbieter das Betreuungsverhältnis von drei Pädagoginnen und Pädagogen bei 14 Kindern.
Im Schulalltag wird diese Zahl kaum erreichbar sein. Als ich vor einigen Jahren die Freie-Schule-Anne-Sophie in der Nähe von Stuttgart besuchte, überzeugte mich eine Klassengröße von 12 bis 14 SchülerInnen. Auch die unglaublich teuren amerikanischen Universitäten haben ähnliche Seminargrößen. Diese Zahl scheint die pädagogische Effektivität zu gewährleisten.
Zwar gibt es bei uns den Richtwert von 25, mit den festgelegten Ausnahmen und Toleranzgrenzen wird dieser aber gerade in Brennpunkt-Schulen fast nie erreicht. An dieser Stelle sei auch einmal eine Lanze für die LehrerInnen gebrochen. Die Eltern und SchülerInnen gehen davon aus, dass die Lehrkraft in einem 1:1-Verhältnis auf sie eingeht. Die Realität ist jedoch, dass der/die LehrerIn in einem 1:25-Verhältnis auf die individuellen Herausforderungen der SchülerInnen eingehen muss. Und genau hier wird es schwierig. Im Büro interagieren wir ja hoffentlich auch nicht mit 25 KollegInnen über mehrere Stunden gleichzeitig. Und wenn, dann meist geordnet. Nicht so im Lehrberuf.
Pädagogische Reformen
Wir können jeden Tag über technologische Entwicklungen, pädagogische Konzepte und tolle Projekte berichten. Aber der Erfolg dieser Maßnahmen ist darauf aufgebaut, dass die Interaktion zwischen der Lehrkraft und dem/r SchülerIn verbessert werden kann. Genau hier hakt es. Denn die meisten pädagogischen Reformen und Adaptierungen technologischer Natur, setzen eigentlich voraus, dass die Lehrkräfte effektiver mit ihren SchülerInnen interagieren. Am leichtesten geht das, wenn das Betreuungsverhältnis nach unten korrigiert wird.
Wünschenswert wäre, wenn eine Lehrkraft plötzlich nur noch die Hälfte der SchülerInnen betreuen müsste. Das wird entweder mit kleineren Klassen (diese Maßnahme wird in den meisten Fällen schon an baulichen Beschränkungen scheitern Anm.) oder mit einer zusätzlichen Lehrkraft in der Klasse erreicht. Team-Teaching war für einige Zeit eine plausible Lösung. Aus finanziellen Gründen wurde dieses Vorhaben wieder begraben. Nun fehlen mancherorts auch die LehrerInnen. Eigentlich hatte die Neue Mittelschule in ihrer Grundidee dieses Modell verankert. Geworden ist daraus leider nichts.
Meine Wunschliste
Nachdem Weihnachten vor der Tür steht, formuliere ich ein paar Wünsche an das Bildungssystem. Für mich steht erstens der kulturelle Wandel im Vordergrund. Jede Maßnahme muss in einem jährlichen Rhythmus von pädagogischen ExpertInnen evaluiert und im Bedarfsfall beseitigt werden. Nur so wird einigermaßen garantiert, dass unser Bildungssystem stets State-of-the-Art bleibt. Zweitens muss der Lehrberuf attraktiver gemacht werden. Damit meine ich nicht vorrangig durch Geld, sondern durch gesellschaftliches Ansehen. Ich bin kein Freund des vielzitierten LehrerInnen-Bashings. Unsere Jüngsten zu begleiten, ist eine ehrenvolle Aufgabe.
Das korrespondiert mit meinem dritten Wunsch, mehr in die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte zu investieren. Das sind jene Menschen, die pädagogisch immer am neuesten Stand sein sollten. Bisher haben sie leider nicht die persönlichen Ressourcen dafür. Auch das ist mit dem gesellschaftlichen Ansehen gemeint. Eigentlich ist es nicht die Aufgabe der LehrerInnen, mit administrativen Tätigkeiten Energie zu verschwenden. Und viertens muss der politische Fokus endlich auf die Bildung gelegt werden. Wieso muss jede Schulreform aufkommensneutral sein aber verschuldete Banken werden mit einem Federstrich gerettet? Wieso müssen Ausgaben in die Bildung jederzeit gerechtfertigt werden, finanzielle Absurditäten (dazu fällt jeder/m etwas ein, Anm.) aber nicht. Vielleicht wünsche ich mir in meinem Idealismus Unmögliches aber es sagt viel über eine Gesellschaft aus, wenn diese Wünsche überhaupt erst formuliert werden müssen …