Finnland schafft die Schulfächer ab

Schulbücher
Quelle: https://static.pexels.com/photos/48126/books-education-school-literature-48126.jpeg 02.06.2017

Finnland hat nun ein Gesetz auf den Weg gebracht, nach welchem die klassischen Schulfächer abgeschafft werden. Dass sich der Bildungsdiskurs in Richtung eines projektorientierten Unterrichts verändert und man den klassischen Schulfächern den Rücken kehrt, ist konsequent. Der Schlüsselbegriff lautet „interdisziplinär“. Ein Abbild dieses Trends ist der fächerübergreifende Unterricht, der viele Potenziale freilegt. Ist die Abschaffung der Schulfächer in Finnland eine ernst gemeinte Vorbereitung auf das Leben nach der Schule?

Interdisziplinär und themenbezogen

Bereits jetzt ist der fächerübergreifende Unterricht unter den SchülerInnen und Eltern populär. Letztlich geht es um eine Kooperation zwischen mehreren Fachgebieten, weil an bestimmte Themengebiete am besten interdisziplinär herangegangen wird. Viele Berechnungsschemata in der Mathematik finden ihre reale Anwendung in der Physik. Hätte es hier eine engere Kooperation zwischen Mathematik und Physik bereits in meiner Schulzeit gegeben, wäre ich vermutlich ein besserer Mathematiker geworden, zumal das Verständnis für Physik vorhanden war.

An der Universität ist der interdisziplinäre Ansatz zur Beantwortung bestimmter Fragestellungen der Regelfall. Dass man einen bestimmten Aspekt von mehreren Seiten beleuchten sollte, zeigt sich beispielsweise in der produktiven Zusammenarbeit der StudentInnen. Auch in Firmen ist es üblich, interdisziplinäre Teams zur Bewältigung einer Herausforderung zu erstellen. Sogenannte Fachidioten, die nicht mit ihren KollegInnen interagieren können, sind nicht mehr gefragt.

Das Ziel der Schulbildung

Different education
Quelle: https://static.pexels.com/photos/221485/pexels-photo-221485.jpeg 02.06.2017

Die Förderung jener Kompetenzen, welche die SchülerInnen im späteren Berufsleben benötigen werden, sollte das übergeordnete Ziel der Schulbildung sein. Natürlich kann das Argument angeführt werden, dass 60 Prozent der späteren Berufe der heutigen VolksschülerInnen noch gar nicht erfunden sind. Die Fähigkeit, sinnvoll und strategisch koordiniert miteinander zu arbeiten, ist gefragter denn je.

Das Ziel der Schulbildung dürfte nicht primär die Vermittlung von Stoff sein, sondern die Beherrschung verschiedener Lernmethoden. Das selbstregulierte und -verantwortliche Lernen ist eine Fähigkeit, die den SchülerInnen schon frühzeitig vermittelt werden sollte. Wenn das lebenslange Lernen neuer Themenbereiche auch noch strukturiert in der Gruppe stattfinden kann, ist das perfekte, interdisziplinäre Arbeiten implementiert.

Bildungspolitik ist ein Prozess

Der Grund, warum Finnland in den internationalen Tests wie P.I.S.A. stets weit vorne gereiht ist, liegt in der Fähigkeit, das gesamte System ständig zu hinterfragen. Wenn es aus pädagogischer Sicht einen Sinn ergeben würde, die Lehrmethoden des aktuellen Schuljahres über Bord zu werfen und nächstes Jahr einen komplett anderen Unterricht einzuführen, Finnland würde es tun.

Kulturell wurde etwas geschafft, das Finnland den meisten OECD-Ländern voraus hat: Die Bildungspolitik ist eines der beweglichsten Politikfelder. Hingegen werden hierzulande ideologische Grabenkämpfe veranstaltet und stets betont, dass die Methoden erst ausreichend getestet werden müssen. Wären sie endlich ausgetestet, ist es zu spät, weshalb auf die Innovation oft verzichtet wird. Deshalb sind wir systemisch stehengeblieben.

Eine Frage der Kultur

ask more questions
Quelle: https://static.pexels.com/photos/92028/pexels-photo-92028.jpeg 02.06.2017

Es entsteht bei uns die Haltung, lieber nichts zu ändern. Deswegen haben wir mit einigen Adaptierungen ein Bildungssystem, das militärisch strukturiert die Kinder auf das Zeitalter der industriellen Revolution vorbereitet. Neuen Herausforderungen wird zunächst abwartend gegenübergestanden. Der zentralste Unterschied zwischen Finnland und Österreich ist in der Kultur und der ernsthaften Bereitschaft begründet, alles zu hinterfragen und über Bord zu werfen. Sich ständig damit zu befassen, wie das Bildungssystem verbessert werden könnte, ist eine Grundhaltung, die wir in Österreich nicht haben. Und Finnland hat auch den Mut, Reformen schnell umzusetzen …