Vision einer neuen Schule I - Grundsätze

Animation einer Lehrkraft
Quelle: https://pixabay.com/de/lehrerin-geometrie-mathematik-2985521/ 05.12.2017

Müsste die Schule heute neu erfunden werden, sähe sie vermutlich deutlich anders aus. In der heute beginnenden Artikelreihe möchte ich, zum zweiten Mal nach 2015, explizit darauf eingehen. Die vorgestellten Konzepte sind europaweit erprobt und stellen keinesfalls eine Neuerfindung des Rades dar. Mein persönliches Ziel ist eine Schärfung des Bewusstseins für pädagogische Konzepte. Gerade in Zeiten, in denen die Wiedereinführung der Noten im Fokus steht, erscheint das notwendig.

Die Zeiten ändern sich …

Die industrielle Revolution ist mehrere Jahrhunderte her. Etwa zur gleichen Zeit hat sich in einer demokratischen Bewegung Bildung durch engagierte Eltern etabliert, die ihren Kindern eine bessere Bildung als die eigene ermöglichen wollten. Im 17. und 18. Jahrhundert waren es überwiegend Geistliche, welche die Kinder bildeten. Als die Herrschenden im Zuge der industriellen Revolution erkannten, dass man gut ausgebildete ArbeiterInnen benötigt, wurden Bildungssysteme etabliert, die für die damalige Zeit sehr effizient waren. 

Den SchülerInnen wurde in 50-Minuten-Takten fachspezifisches Wissen infiltriert, das unmittelbar angewandt werden konnte. Doch die Zeiten ändern sich. Oder wollen sie von einem Arzt behandelt werden, dessen Wissensstand und Werkzeuge die Entwicklungen der Jahrhundertwende abdecken? Und vor diesem Hintergrund der Veränderung sollte sich auch das pädagogische Konzept weiterentwickeln. Denn eigentlich ist es in seinen Grundzügen seit 200 Jahren unverändert.

Das kritische Individuum

Auswahl
Quelle: https://pixabay.com/de/auswahl-individuell-individuum-64197/ 04.12.2017

Der nächste Aspekt beschäftigt sich mit der übergeordneten Zielsetzung der Bildung. Während der Bildungskarriere sollte die Individualität gestärkt und das kritische Denken gefördert werden. In einem Setting, das auf die Herausforderungen der industriellen Revolution reagieren soll, mag es im Sinne der Effizienz sinnvoll sein, weniger auf die Individualität der Kinder zu achten und stattdessen beinahe ein Heer an Arbeitskräften auszubilden. Kritische Individuen wurden auf diesem Wege nicht erzogen. Mein Wunsch ist es, dass die SchülerInnen ihre Neugier behalten und ihr kritisches Denken schärfen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir unsere Kinder bilden und nicht ausbilden.

LehrerInnen-zentriert vs. SchülerInnen-zentriert

Die Lehrkraft steht an der Tafel, schreibt etwas und hofft, dass die SchülerInnen während des Unterrichts aufpassen und nicht einschlafen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Vermutlich, weil Sie es so oder so ähnlich in ihrer eigenen Schulzeit erlebt haben. Dazu kommt noch die Prüfungsangst, unter der viele Kinder zu leiden haben. Wenn die Lehrkraft im Zentrum der pädagogischen Interaktion steht, wird Bildung immer aus der Sicht der Erwachsenen wahrgenommen.

Die SchülerInnen müssen der Logik und der Herangehensweise der Lehrkraft folgen, um erfolgreich zu sein. Wenn die pädagogische Interaktion aber SchülerInnen-zentriert funktioniert, wird vermehrt auf die Kollaboration zwischen den Kindern gesetzt. Sie erarbeiten sich das Wissen in Gruppen und lernen besser voneinander. Die Lehrkraft ist in der Rolle der Lernbegleiterin/des Lernbegleiters. Man erkennt automatisch, dass die pädagogische Interaktion in anderen Mustern wesentlich effektiver ist, als im traditionellen Setting eines gewöhnlichen Klassenraums.

Aufteilung der Lernbereiche

Eines gleich vorweg: Es bedarf keines finanziellen Aufwands, die Lernumgebung umzugestalten. Die Lehrkraft und die SchülerInnen sind flexibel und können sich im Raum aufteilen. Weiters kostet es nichts, die Tische und Stühle zu verstellen. Ist es nicht illusorisch zu glauben, dass die Kinder stets die gleich hohe Motivation für alle Gegenstände und alle Fragen in der gleichen Umgebung aufbringen?

Schüler und Schülerin
Quelle: https://pixabay.com/de/junge-mädchen-hand-in-hand-kinder-160168/ 05.12.2017

Wenn wir die Möglichkeit haben, verändern wir unseren Arbeitsplatz auch. Arbeiten wir mit KollegInnen, verstellen wir die Tische. Brauchen wir einen Tapetenwechsel, verändern wir unsere Position im Büro oder verlassen dieses, wenn es uns gestattet ist, in Richtung des nächsten Kaffeehauses. Die Technik erlaubt uns diese Flexibilität. Bei der Erstellung einiger Artikel sitze ich auch lieber auf dem Boden.

Das Future Classroom Lab in den Räumlichkeiten des European Schoolnets in Brüssel hat die Zeichen der Zeit erkannt und die pädagogische Interaktion gesplittet. Aus eins mach sechs. In sechs unterschiedlichen Bereichen können die SchülerInnen kooperieren, präsentieren, still arbeiten, forschen, kreieren und wertvollen Input von der Lehrkraft bekommen. Wäre es nicht wunderbar, könnte jede Lehrkraft die Arbeit in der Klasse räumlich aufteilen? Auf diese Weise könnte auch das eigenverantwortliche Lernen der SchülerInnen gestärkt werden.

Reform von innen nach außen denken

In letzter Zeit konnten wir die Diskussion über Reformen in der Bildung als die Bekämpfung von Symptomen beobachten. Durch internationale Vergleichstests, wie beispielsweise P.I.S.A., wissen wir um die Defizite unserer Kinder und wollen diese möglichst schnell und punktuell beseitigen. Dabei wird stets am bestehenden System festgehalten.

Baum mit Ideen
Quelle: https://pixabay.com/de/business-plan-baum-wachstum-2987962/ 05.12.2017

Wenn ich davon ausgehe, dass die pädagogische Interaktion in der Klasse in mehrere Lernbereiche aufgeteilt werden sollte, die Kollaboration im Zentrum stehen könnte und das eigenverantwortliche Lernen als übergeordnetes Ziel festgehalten wird, ergibt sich folgerichtig, dass sich die Lernumgebung, das pädagogische Konzept, die Bewertung, ja vielleicht die Schule in ihrer Gesamtheit einer Veränderung unterzogen werden müssten. Wenn wir das Bildungssystem reformieren wollen, sollten wir tatsächlich von innen nach außen denken und damit beginnen, was den SchülerInnen vermittelt werden sollte. Danach können wir über Organisationseinheiten, Kompetenzaufteilungen und Autonomie sprechen. Eine andere Vorgangsweise wäre eigentlich unehrlich. In den kommenden Artikeln möchte ich darauf eingehen, wie ein Bildungssystem en Detail aussehen könnte …